Vita

Elisabeth Guggenberger, 1946 geboren in Wien, wuchs als Älteste von acht Geschwistern in Klagenfurt auf. Nach der Matura studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Wien und schloss das Studium 1969 erfolgreich ab. Danach “Flucht” aus der Enge des damals noch sehr konservativen Wien. Ein Stipendium ermöglicht ihr Post Graduate Studies an der renommierten, amerikanischen Johns Hopkins University in Bologna, Italien: Fokus auf europäische und internationale Politik, internationales Recht, Wirtschaft und Soziologie. Die 1968 in Paris begonnene Studentenbewegung war in Bologna noch voll im Gange und hat Guggenberger entsprechend geprägt. Sie lernte, dass politisches Engagement von guter Kommunikation begleitet sein muss, wenn Impulse zur Entwicklung erzielt werden sollen. Noch wusste sie nicht, dass dieses Knowhow zukünftig wichtig sein würde. Sie perfektionierte ihre englischen und italienischen Sprachkenntnisse und beschäftigte sich mit zeitgenössischer Kunst.

Ein weiteres Stipendium des Consiglio Nazionale delle Ricerche führte sie 1971 nach Rom, wo sie auch in der amerikanischen First National City Bank zu arbeiten begann. 1973 musste sie als Ausländerin Italien verlassen, da ihre Arbeitsgenehmigung nicht verlängert wurde. Sie kehrte nach Wien zurück und hoffte bald wieder im europäischen oder amerikanischen Ausland ein Jobangebot zu bekommen. Wien erschien ihr immer noch sehr konservativ und „verstaubt“ zu sein.

Im Fernsehen lief damals die Serie „Kinder in unserer Umwelt" von Regisseur Helmut Voitl. Elisabeth Guggenberger war von Gestaltung und Inhalt der Kurzfilme sehr beeindruckt. In den Filmen sprachen ausschließlich achtjährige Kinder, ein absolutes Novum, da Kindern damals keine Ernsthaftigkeit zugesprochen wurde. Doch sie beschrieben und kritisierten eindrücklich, wie Erwachsene die natürliche Umwelt sukzessive zerstören. Ein sehr progressives Novum! Guggenberger vereinbarte ein Treffen mit dem Regisseur und schlug ihm vor, mit den Filmen eine Tour durch ganz Österreich zu machen, um nach der Vorführung der Filme mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.

Diese Tour war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit mit Helmut Voitl. Gemeinsam entwickelten die beiden neue Formen des dokumentarischen Oeuvres – vor allem das Format des prozessualen Dokumentarfilms, der Themen und Menschen über längere Zeiträume begleitet. Als Pioniere des public journalism (diese Begrifflichkeit gab es 1974 noch nicht) setzten sie häufig aktionistische und edukative Interventionen ein, um positiven Entwicklungen Impulse zu geben. Sie engagierten sich mit Initiativen für Ökologie und Umweltschutz, publizierten Bücher, veranstalteten Seminare und Symposien – alles sollte zivilgesellschaftlichen Entwicklungen dienen. Sie schufen damit einen „social value“ für ihre Filmarbeit, aber auch diesen Begriff gab es damals noch nicht…

Als Dokumentarfilm-Duo gaben sie auch Impulse zu Innovationen im Programm des Österreichischen Fernsehens. Für viele ihrer Filme haben sie nationale und internationale Auszeichnungen erhalten.

Elisabeth Guggenberger verfasste nicht nur Filmetexte, Drehbücher und Treatments, sie schrieb auch Prosa, Essays und Lyrik. An der Tamala Clown Akademie in Konstanz absolvierte sie 2016 die Ausbildung zur Clownin und Comedian. Sie widmet sich zudem der Malerei, dem Zeichnen und der Zen-Meditation.

Persönliche Gedanken

Über jenen Moment, als ich mich von Helmuts Filmen angesprochen fühlte, habe ich viel nachgedacht. Hätte ich die Filme bloß irgendwie konsumiert, würde ich mich heute wohl nicht mehr an sie erinnern und mein Leben hätte einen anderen Verlauf genommen. Ein Leben, in welchem das Filmemachen eine Rolle spielt, hätte ich wahrscheinlich nicht kennengelernt.

Bei Martin Buber gibt es einen Text, der dieses Angesprochen Sein anspricht: „LEBEN heißt angesprochen werden,“ sagt Buber. „Wir müssen uns ihm nur stellen!“ Dieses „Sich stellen“, sei jedoch nicht möglich, wenn man nur Beobachter bleibt. Wenn man jedoch das, was zu einem spricht, „wahr-nimmt“, will man mit ihm zu tun haben.

Helmut und ich haben als Gestalter von Dokumentarfilmen diese Haltung wertgeschätzt und oft auch praktiziert. Martin Buber geht noch weiter. Er sagt „Mensch sein heißt, das gegenüber seiende Wesen SEIN“. Dieser Gedanke ist für mich gleichermaßen wunderbar, wie irritierend. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was damit gemeint ist. Helmut besitzt diese empathische Fähigkeit in hohem Ausmaß und in der Praxis hat er mir oft gezeigt, wie wichtig und produktiv diese Haltung ist.

Wenn Dokumentarfilme entstehen, stehen wir als Menschen immer in Beziehung zu anderen Menschen, zur Natur, zur Erde, wir spüren Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und denken sie mit. Wird sich das zukünftig ändern?

Wird es den gegenwärtigen autoritären Entwicklungen gelingen Empathie auszulöschen und ein demokratisches und solidarisches Miteinander zu verhindern?

Wird es dann den Dokumentarfilm, wie wir ihn verstanden und praktiziert haben, überhaupt noch geben können?

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Kreative Parallelstruktur