Planquadrat Stadt

Inhalt

1974 - 1983

Vorbemerkung:

Voitl und Guggenberger waren Vorreiter und Pioniere des sogenannten „public journalism“ oder „citizen journalism“. Als sie 1973 mit dem langfristigen Dokumentarfilmprojekt „Planquadrat“ begannen, gab es diese Begriffe noch nicht, sie wurden erst 1980 vom amerikanischen Medienwissenschaftler Jay Rosen formuliert. Er ermunterte Medienschaffende über das reine Aufzeigen und Kommentieren von Sachverhalten hinauszugehen und forderte sie auf, durch ihre Arbeit „das öffentliche Leben zu revitalisieren und den öffentlichen Dialog zu verstärken. Medienarbeiter könnten und sollten mehr tun, als bisher, um die Menschen als Staatsbürger zu aktivieren, die öffentliche Diskussion voranzutreiben und der Gemeinschaft dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen und damit die Demokratie zu stärken."

Karl Jaspers dazu: „Demokratie heißt Information und Selbsterziehung der Bevölkerung. Sie weiß, was geschieht. Sie lernt nachdenken. Sie urteilt. Demokratie heißt daher: Den Prozess der Aufklärung ständig fördern“.

Voitl und Guggenberger fühlten sich als Medienschaffende diesem Ziel verpflichtet, als sie das Projekt “Planquadrat - Leben in der Stadt” 1973 begannen. „Learning by doing“, ohne jegliche Theorie oder Praxisbeispiele als Anregung zu haben, entwickelten sie das, was Jay Rosen unter public journalism forderte. Ausgestattet mit viel künstlerischem und kommunikativem Gespür fühlten sie sich als Dokumentarfilmer verpflichtet, ihre Arbeit als Beitrag zur Stärkung und Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft zu verstehen und als „Kommunikations-Stifter“ den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

Mit Planquadrat Stadt und darauf folgenden weiteren filmischen Projekten samt daraus resultierenden Initiativen haben Voitl und Guggenberger bewiesen, dass dies machbar ist.

Was ist das “Planquadrat”?

Das „Planquadrat“ war/ist vorerst ein Wohngebiet im 4. Wiener Bezirk: Auf dem Stadtplan zeigte es sich 1973 als ein quadratisches Häuser Geviert, dessen Innenhofareale (8.770 m2) durch Mauern, Zäune und Stacheldraht in 34 (!) Teile zerstückelt und voll mit Schutt und Gerümpel einen verwahrlosten Eindruck machte. Die Altbauhäuser waren desolat, da entsprechend dem städtischen Flächenwidmungsplan eine ganze Häuserzeile abgerissen werden sollte, um einer verbreiterten Durchfahrtsstraße Richtung Stadtzentrum Raum zu verschaffen. Ein vergammelter, öffentlicher „Beserlpark“ verursachte soziale Konflikte, es herrschte Kinderfeindlichkeit und Angst vor Vandalismus.

In diesem Wohnviertel produzierten Voitl und Guggenberger ab 1974 unter dem Serientitel „Planquadrat“kontinuierlich mehrere Dokumentarfilme zum Thema „Stadterneuerung“. Bei diesem Projekt waren sie nicht nur als Filmemacher aktiv, sondern sie brachten sich (im Sinne von „public journalism“) als Initiatoren eines Aktivierungsprozesses der Bewohner ein. Die Bewohner wurden animiert über eine Verbesserung des Wohnviertels nachzudenken und im Dialog mit der Stadtverwaltung auch zur neuen Realität werden zu lassen. Es sollten die Voraussetzungen für eine substantielle Veränderung und Verbesserung des Lebens in diesem Stadtviertel geschaffen werden. Voitl und Guggenberger sahen sich in diesen Prozess als „Kommunikations Stifter“. Ihre Impulse zu partizipativem Handeln führten schließlich tatsächlich zu einer Mitwirkung der Bewohner an der Planung der Stadtverwaltung, die schließlich die Erneuerung der Gebäude und die Grüngestaltung des Innenhofareals zur Folge hatte.

„Planquadrat“ wurde in der Gemeinde Wien zum Modellfall, der die „Sanfte Stadterneuerung und die partizipative Planung” in Gang setzte. “Planquadrat” hat in Österreich als erstes und sehr frühes Beispiel von “public journalism” Mediengeschichte geschrieben.

Prozessuale filmische Begleitung

In über zwanzig Stunden Film wurde der partizipative Lernprozess kontinuierlich dokumentiert und im Hauptabendprogramm des ORF ausgestrahlt.

  1. „Stadterhaltung – Stadterneuerung“, Sendung 14.5.1974, 75 Min.

  2. „Aktion – Reaktion – Diskussion“, Sendung 18.5.1974, 60 Min.

  3. „Bürger, Planer, Verwaltung“, Sendung 29.11.1974, 75 Min.

  4. „Ein Haus stellt sich aus“ Sendung 14.12.1974, 45 Min.

  5. Ein Jahr Planquadrat – Diskussion“; Sendung 20.2.1975, 80 Min.

Diese ersten fünf Produktionen zeigten den status quo am Beginn des Projektes und die Entwicklung des partizipativen Prozesses bis zu jenem Zeitpunkt, da die von 72 Prozent der Bewohnerschaft erarbeiteten Planungsunterlagen inklusive eines dreidimensionalen Modells vorlagen und an die Architekten der Stadtplanung übergeben wurden.

Offen waren die großen Fragen: Wird die Stadtverwaltung das, was bisher erarbeitet wurde anerkennen? Wird die Stadtverwaltung der Bewohnerschaft auf halben Weg entgegen kommen? Wird die Mitbestimmung und Mitentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern offiziell anerkannt werden? Völlig ungeklärt war die Situation der laut Flächenwidmungsplan zum Abbruch vorgesehenen Häuser. Siehe Schreiben an Bürgermeister.

Kontinuierliche Information

Regelmäßige Veranstaltungen und Aktionen dienten der Information der Bewohner über die gesetzliche Situation und die Möglichkeiten der Renovierung alter Bausubstanz. Eine von der Stadtverwaltung beauftragte Gruppe von Architekten erareitete Lösungsvorschläge für die Renovierung der Altbausubstanz und Baupläne zur Errichtung des Gartenhofes gemäß den Planungsunterlagen der Bewohnerschaft. Es gab „Hearings“ und Vorführung der Planquadrat Filme im Rathaus und die Bewohner gründeten den „Gartenhofvereins Planquadrat“. Unter Leitung des Bewohners Karl Färbinger übernahm dieser Verein alle Belange der Initiative und wurde zum Ansprechpartner der Stadtverwaltung. Färbinger und ein Dutzend Mitstreiter waren von 72 Prozent der Bewohner zu ihrer Vertretungsfunktion legitimiert. Ab nun waren es die Planquadrat Bewohner, die gemeinsam mit den Architekten und positiv gestimmten Rathausbeamten, Planquadrat zu einem positiven Ende führten.

Folgende Sendungen im Jahr 1975 dokumentierten die Anstrengungen zur Rettung und Sanierung der ursprünglich zum Abriss bestimmten Häuser.

6. „Neues aus dem Planquadrat“, Sendung 15.8.1975, 30 Min.

7. „Dach als Lebensraum“, Sendung 22.8.1975, 60 Min.

8. „Eine Idee setzt sich durch“, Sendung 22.11.1975, 80 Min.

Ab 1977 bis 2002 berichteten weitere Filme (zum Teil von anderen Gestaltern) über die nachhaltige Fortführung der Initiative durch die Bewohner.

09. „Der Hinterhof – zwei Jahre später“, Sendung 18.7.1977, 45 Min.

10. „Fünf Jahre Planquadrat“, Sendung 17.12.1978, 75 Min.

11. „Ein Frühlingsfest”, Sendung 24.5.1979, 30 Min.

12. “10 Jahre Planquadrat”, Sendung 09.06.1983, 30 Min.

13. „25 Jahre Planquadrat“, Vorführung, 28.11.1998, 90 Min.

14. „Die Erfolgs-Story“, Sendung 9.11.2002, 45 Min.

Credits

1.) „Stadterhaltung – Stadterneuerung“,

2.) „Aktion – Reaktion – Diskussion“,

3.) „Bürger, Planer, Verwaltung“,

4.) „Ein Haus stellt sich aus“,

5.) „Ein Jahr Planquadrat / Diskussion“

6.) „Neues aus dem Planquadrat“,

7.) „Dach als Lebensraum“,

8.) „Eine Idee setzt sich durch“,

9.) „Der Hinterhof – zwei Jahre später“,

10.)„Fünf Jahre Planquadrat“,

11.) Ein Frühlingsfest”,

12.)”10 Jahre Planquadrat”,

13.)„25 Jahre Planquadrat“, Vorführung im PQ am 28.11.1998, 90 Min.

14.) “Die Erfolgs-Story”,

Fotos

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Presse

19740400 Hör Zu; 19740400 Kurier; 19740404 Kronenzeitung, Arbeiterzeitung; 19740404 Kurier; 19740412 Kleine Zeitung; 19740414 Kronenzeitung; 19740415 Kleine Zeitung; 19740418 Kurier; 19740427 Kurier; 19740513 Kurier; 19740514 Krone; 19740514 Mix; 19740519 Arbeiterzeitung; 19740531 Kronenzeitung; 19740531 Kurier; 19740620 Mix; Mix; 19740622 OÖ Nachrichten und AZ; 19740622 Mix; 19740629 Mix; 19740629 Kleine Zeitung; 19740706 Salzburger Nachrichten; 19740821 Volkszeitung Kärnten; 19740901 Kleine Zeitung; 19740901 SüdOst Tagespost; 19740906 Kleine Zeitung; 19740911 Kärntner Tageszeitung; 19740911 Volkszeitung Kärnten; 19740911 Kronenzeitung; 19740911 Kleine Zeitung; 19740911 Kurier; 19741004 Kleine Zeitung; 19741109 OÖ Nachrichten; 19740911 Arbeiterzeitung; 19740911 OÖ Nachrichten; 19741215 Kronenzeitung; 19750200 Die Presse; 19750215 Hör Zu; 19750222 Kronenzeitung; 19750226 Wochenpresse; 19750408 OÖ Nachrichten; 19750409 Kleine Zeitung; 19750409 Vorarlberger Nachrichten; 19750800 Artikel; 19750924 Kurier; 19750928 Kronenzeitung; 19751001 Artikel; 19751128 Krone; 19751128 Kurier;


19740511 Arbeiterzeitung; 19740514 Telegramm von Peter Noever; 19740515 Kurier; 19740516 Arbeiterzeitung und Kurier; 19740516 Kärntner Tageszeitung und Volkszeitung Kärnten; 19740516 Kronen Zeitung , Kleine Zeitung; 1974104 Kleine Zeitung; 19741130 Kurier; 19741216 Kurier; 19741221 Die Furche; 19750200 Die Presse; 19750223 Kronen Zeitung ; 19750226 Wochenpresse; 19750300 Mix; 19750930, Kurier, Krone, Arbeiterzeitung, 19751215 Kronen Zeitung, 19750223 Krone; 19750223 Kurier; 19750222 Krone; 19760000 Süddeutsche Zeitung; 19760417 Arbeiterzeitung; 19760518 Kurier; 19760615 Arbeiterzeitung; 19770718 Kronen Zeitung; 19770731 Arbeiterzeitung; 19770900 Bezirksjournal; 19771130 Salzburger Nachrichten; 19771203 Arbeiterzeitung; 19771222 Präsent; 19771200 Presse; 19780301 Weltwoche; 19780509 Kurier; 19780514 Arbeiterzeitung; 19780621 Artikel; 19780700 Mix; 19780725 Arbeiterzeitung; 19781106 Kurier; 19781228 Arbeiterzeitung; 19781100 Bezirksjournal; 19790520 Arbeiterzeitung; 19790627 Brigitte; 19791127 Kurier; 19810720 Profil; 19811200 Bezirksjournal und; 19820100 Bezirksjournal; 19820723 Die Presse; 19830400 Die Österreichische Frau; 19830609 Kurier; 19830400 Brigitte; 19830609 Kurier; 19830609 Kurier; 19830700 Bezirksjournal; 19900100 Wiener Blatt; 20030606 Kurier;

Auszeichnungen

1974, Fernsehpreis der Erwachsenenbildung, Wien

1974, Preis der International Federation for Housing and Planing

1975, Prix Futura, Berlin

1977, Preis UNDA, Monte Carlo

1978, Preis des Österreichischen Naturschutzbundes

Weiterführende Notizen

Entstehung und Verlauf des Projektes, Hintergründe, beteiligte Personen

Anfang der 1970er Jahre war Wien noch eine graue, triste Stadt: Verfallende Altbauten mit Substandardwohnungen, Mangel an Grün- Spiel- und Erholungsbereichen, soziale Konflikte. Die Stadtplanung favorisierte den Abbruch der Altbauten und den Neubau von Wohnungen am Stadtrand, samt Stadtautobahnen; innerstädtische Grün- Spiel- und Erholungsräume kamen in den Planungen nicht vor, die Partizipation der Bevölkerung an städtischen Planungsvorhaben war unbekannt.

Leopold Gratz, Bürgermeister der Stadt Wien und Jörg Mauthe, Leiter der Programmplanung im öffentlich- rechtlichen ORF kamen überein, das dringliche Thema „Stadterneuerung“ medial aufzugreifen, um es in die öffentliche Diskussion zu bringen. Das mediale Engagement sollte jedoch lediglich dazu beitragen, Wien „schöner“ zu gestalten. Mauthe meinte, der modernen Stadt mangle es an „Schönheit“, im „alten“ Wien jedoch sei noch viel Schönes zu finden gewesen, vor allem in den Hinterhöfen aus der Biedermeierzeit. Mauthe ging es um Ästhetik und Schönheit, die in der Stadtplanung einen Stellenwert erhalten sollte. Er beauftragte Alois Schöpf, einen ORF Redakteur, Voraussetzungen zu schaffen, um dieses Thema in einem Film unter Regie von Helmut Voitl zu behandeln.

Architekt Fred Freyler, ein Vertrauter des Bürgermeisters, begleitete das Team auf der Suche nach solchen biedermeierlichen Hinterhöfen. Dabei erkannte Voitl die zum Teil unhaltbaren sozialen Missstände in den Altbauvierteln und vertrat die Meinung, dass es ihm schwer fallen würde Mauthes Programmvorstellung 1:1 umzusetzen, da sie die soziale Realität der Stadtbewohner völlig ausklammere.

Er schlug eine Neuausrichtung des Projektes vor. Recherchen zufolge hatte er Hinweise auf die Entstehung von sogenannten „Gartenhöfen“ im England des 19. Jahrhunderts gefunden, die in der Folge zu einer „Gartenhofbewegung“ in Mitteleuropa geführt hatte. Fred Freyler verwies darauf auf solche „Gartenhöfen“, die in den 1920er Jahren inmitten von Wiener Gemeindebauten errichtet und als Grünflächen gestaltet wurden. In der Publikation „Das neue Wien“ aus dem Jahr 1927 heißt es über diese Höfe der Sozialbauten: „Stets wird das Augenmerk darauf gerichtet, so große Höfe zu erzielen, dass sie eine gärtnerische Ausschmückung zulassen und die Sonne möglichst alle Räume erreichen kann. Der Gartenhof hat die wichtige Aufgabe zu erfüllen, Spielfläche für Kinder und Ruhe für Erwachsene zu bieten“.

Gartenhof und Sanierung der Altbauten:

Im Team entstand ein neues Konzept für den Dokumentarfilm: Es sollte die „Schaffung von Gartenhöfen“ in den Altbauvierteln Wiens thematisiert werden und nicht mehr die Schönheit von alten Biedermeierhöfen. Freyler schlug fünfzehn in Frage kommende Stadtareale vor, die für ein beispielgebendes konkretes Projekt geeignet hätten sein können. Die Parameter des Projektes waren:

Darstellen der sozialen und baulichen Probleme eines Stadtviertels; unter Mitbestimmung und Mitentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern werden Pläne zur Verbesserung der Situation erarbeitet; Architekten und Stadtplanungsinstanzen setzen die Realisierung eines “Gartenhofs” beispielhaft in die Praxis um.

Gratz und Mauthe begrüßten die Neuausrichtung des Projektes, welches Anfang 1974 starten sollte. Die Wahl war auf ein Häusergebiet im 4. Wiener Bezirk gefallen, das sich durch die Strassen Margaretenstrasse – Pressgasse – Mühlgasse – Schikanedergasse bildete. Ihm wurde der Name „Planquadrat“ gegeben, da es am Stadtplan einen quadratischen Umriss aufwies.

Voitl hatte mittlerweile Elisabeth Guggenberger zur Mitarbeit eingeladen, sie arbeiteten ab 1974 als Team zusammen. Ihre Annäherungen an das Wohngebiet “Planquadrat”und dessen Bewohner und Bewohnerinnen, erfolgte vorerst ohne Kamera. Sie wollten die Menschen kennenlernen, mit ihnen ins Gespräch kommen und erfahren „wo der Schuh drückt und welche Wünsche es gibt“. Nach etwa zwei Monaten formulierten sie den Bewohnern gegenüber den Vorschlag einen Film über das Viertel zu machen, um auf Probleme und Missstände hinzuweisen und Verbesserungen anzuregen.

Der erste Film erzählte über die Angst der Menschen vor dem Abbruch ihrer Häuser und vor der Absiedelung an den Stadtrand. Er zeigte Kinderfeindlichkeit, aber auch den jugendlichen Vandalismus im öffentlichen „Beserlpark“, sowie eine verbreitete, große Resignation der Menschen. Sie waren der Meinung, man könne „eh nix machen“. Voitl und Guggenberger hatten im Erdgeschoß eines der Abbruchhäuser ein “Büro” und einen Filmschneideraum eingerichtet; sie luden die Bewohner und Bewohnerinnen ein, diese Räume für Versammlungen und Besprechungen zu nutzen und sich am Filmschnitt zu beteiligen. Als die „Idee der Schaffung eines Gartenhofes“ im Innenbereich des Planquadrates zur Diskussion gestellt wurde, gab es Proteste, einige Bewohner befürchteten den Lärm spielender Kinder vor ihren Fenstern.

Kommunikation stiften:

Nun brachten sich Voitl und Guggenberger als „Kommunikation Stifter“ ein. Mit schriftlichen Informationen, vielen kreativen Impulsen und Aktionen (Akupunktur) regten sie bei den Bewohnerinnen und Bewohner die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an der Suche nach Lösungen an. Diese bewirkten Bereitschaft zu Gesprächen und Diskussionen und beschleunigten Erkenntnisprozesse.

Um den Energiefluss eines Körpers in Bewegung zu setzen, werden in der Chinesischen Medizin an bestimmten Stellen Nadeln angebracht. Konkret durchgeführte, oft geringfügige Veränderungen (wirken wie “Akupunktur-Nadelstiche”) helfen gesellschaftliche Lernprozesse in Gang zu setzen. Da Voitl und Guggenberger feststellten, dass es vielen Menschen schwer fiel den Inhalt von Informationen insofern zu verstehen, dass ihnen über den Status quo hinaus auch mögliche Veränderungen vorstellbar gewesen wären, inszenierten sie, um weitere Stagnation zu verhindern, „Akupunktur-Aktionen“.

Diese sollten die Veränderung probeweise erlebbar machen und auf diese Weise die Vorstellung von einer möglichen Veränderung erleichtern.

„Akupunktur“- Beispiel 1:

„So schaut’s aus in einem renovierten Haus“ - eine Ausstellung.

Trotz vieler Gespräche konnten sich Bewohner des Planquadrates nicht vorstellen, dass ihre “alte Bude“ so erneuert werden kann, dass sie sich nach einer Renovierung in ihrer Ausstattung von einer Neubauwohnung nicht unterscheidet. Um zu demonstrieren, dass alt nicht alt bleiben muss, haben Voitl und Guggenberger eine leere Wohnung (bühnenmäßig) „saniert“ und eingerichtet. Der Aufwand war gering, der Erfolg groß: Am Flur zeigt eine Fotomontage den Zustand der Wohnung vor der „Renovierung“, Info-Tafeln informierten über Finanzierungsmöglichkeiten und die Höhe der Mieten für renovierte Altbauwohnungen. In 14 Tagen besuchten nicht nur Planquadratbewohner, sondern ca. 3000 Besucher aus ganz Wien diese Ausstellung. ORF Radiosendung zum Thema Altbausanierung.

„Akupunktur“- Beispiel 2:

„Die weiße Diagonale“ - ein Happening.

Kinder zogen quer durch die Innenhof-Flächen des „Planquadrats“ – über alle Mauern und Zäune hinweg – einen dicken, weißen Strich aus Kreidefarbe und zählten die Hindernisse. Dies vor den Augen der verdutzten Mieter, die aus den Fenstern zuschauten...

„Akupunktur“- Beispiel 3:

„Das rosa Tor“ - eine Inszenierung.

Der verwahrloste, öffentliche „Beserlpark” erzeugte bei den Bewohnern vor allem in der Nacht ein Gefühl der Unsicherheit. Ständig wurde nach der Polizei gerufen... Mit einem Tor, das in der Nacht abgesperrt werden kann, wäre das Problem behoben gewesen. Aber auch so einfache Maßnahmen in die Realität umzusetzen, kam den Bewohnern nicht in den Sinn.

Mit einem über Nacht aufgebauten Bühnentor am Eingang des Beserlparks überraschten das Team eines Morgens die Bewohner und filmten mit versteckter Kamera ihre Reaktionen...

„Akupunktur“- Beispiel 4:

“Videokamera” - ein Tool.

1974 war die audiovisuelle Aufnahmetechnik mit einer Videokamera brandneu. Voitl und Guggenberger erkannten darin einen Nutzen für ihre Arbeit mit den Bewohnern und kauften (privat) ein Sony-Gerät. Bewohner, auch Jugendliche und Kinder hatten die die Möglichkeit Ideen, Meinungen, Pros und Kontras von Planungen „video-journalistisch“ aufzuzeichnen, vorzuführen und zur Diskussion zu stellen.

„Akupunktur“- Beispiel 5:

“Das Planquadrat Spiel” - spielerisches Planen.

Die für den Verlauf des Projektes maßgebendste Aktion war das „Planquadrat Spiel“. Drei Architekturstudenten der Technischen Universität Wien, Wolfgang Piller, Martin Schwanzer und Norbert Stangl meldeten sich, um am Projekt mitzuarbeiten. Sie entwarfen einen 1x1 Meter Spielbogen, der das Planquadrat detailgenau zeigte - jedes Fenster, jede Tür der Häuser und die Grenzen der Einzelhöfe. Mit Spielmarken, die alle möglichen Tätigkeiten in einem Gartenhof aufwiesen, konnten die Bewohner „spielerisch“ ihre Ideen dorthin platzieren, wo es ihrer Meinung am günstigsten wäre. Dieses Spiel wurde in hohem Ausmaß angenommen. Über Zweidrittel der Bewohner machten mit. Die Rückmeldungen wurden von den Architekturstudenten per Computer ausgewertet, damals eine der ersten Auswertungen dieser Art. Daraus resultierten konkrete Planungsimpulse, die in den Bau eines dreidimensionalen Planquadrat-Modells mündeten.

Allen „Akupunktur-Aktionen“ waren von Diskussionen und Gesprächen begleitet. Da die Initiatoren eine leerstehende Wohnung in einem der Abbruchhäuser bezogen und als Schneideraum und Redaktionsbüro eingerichtet hatten, gab es hiemit auch einen Versammlungsort, wo die Gespräche stattfinden konnten. Hier wurden auch alle Filme unter Beteiligung interessierter Bewohner geschnitten. Manche Bewohner beteiligten sich am Filmschnitt dadurch, dass sie eigene Video- und 8 mm Filmbeiträge gestalteten, die dann in die Dokumentarfilme integriert wurden.

Partizipation

Partizipation war für Voitl und Guggenberger ein zentrales Anliegen ihrer Arbeit: Als Filmemacher nehmen sie an der Wirklichkeit des „Planquadrates“ teil und sie lassen die Menschen an der Fertigstellung ihrer Filme teilnehmen. Die Filmemacher und Initiatoren sind offen für einen wechselseitigen Lehr- und Lernprozess. Dabei ist jeder das, was er ist. Die Filmemacher bleiben Filmemacher und bringen dies deutlich zum Ausdruck. Sie sind nicht gekommen, um die Geschicke der Bewohner in die Hand zu nehmen und stellvertretend für sie zu erledigen. Aber sie bieten Möglichkeiten einen „verfahrenen Karren“ gemeinsam mit den Bewohnern in Bewegung zu bringen. Und sie sind vielleicht die Ersten, die den Menschen aufzeigen, dass der Karren verfahren ist und warum er es ist.

Kommunikation- statt Resignation:

Die moderne Zeit ist zunehmend durch Gleichgültigkeit, Resignation und Desinteresse am öffentlichen (gemeinschaftlichen) Leben geprägt. In seinem Buch „Die einsame Masse“ machte David Riesman auch die moderne Massenkommunikation dafür verantwortlich. Medienmacher vermitteln politisches Geschehen wie eine Ware, die zu konsumieren ist. Der Verbrauch solcher Informationen erzeugt oberflächlich zwar ein Gefühl der Informiertheit, speist aber bloß „politische Pseudoaktivität am Stammtisch“: Über das Schimpfen und Wütend Sein kommen derart Informierte nicht hinaus. Sie lehnen Mitarbeit und Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben ab, weil dies das „Geschäft der Politik“ sei und sie folgen schließlich den „Rattenfängern“ der politisch Extremen.

„Planquadrat“ wollte etwas dagegen setzen. Im kleinen, überschaubaren Bereich der Planquadrat-Probleme war ein Erfolg von vornherein zwar nicht garantiert, aber doch aussichtsreich. Als „Kommunikations-Stifter“ waren Voitl und Guggenberger daher auf vielfältige Weise darum bemüht Bürger, Politiker und Verwaltungsbeamte zu einem fruchtbaren Dialog zu bringen und waren erfolgreich. Ihre Form der Informationsvermittlung führte dazu, dass sich schließlich ca. 72% der Bewohner aktiv an den Mitbestimmungsprozessen mit der Stadtplanung beteiligten.

Die Entwicklungen im „Planquadrat“ und die vorerst ablehnenden Reaktionen der städtischen Planungsinstanzen wurden kontinuierlich filmisch dokumentiert und im Fernsehen ausgestrahlt. Allmählich kam ein partizipativer Planungsprozess in Gang, so dass nach fast dreijähriger Tätigkeit des initiativen Filmteams Altbauhäuser doch saniert und Wohnungen verbessert wurden.

Vereinsgründung

Ein inzwischen gegründeter Planquadrat-Verein, der vom Bewohner Karl Färbinger gegründet wurde, konnte die Umsetzung der von ihnen erarbeiteten Pläne für die Neugestaltung des Innenareals bei der Gemeinde Wien durchsetzen: Es wurde ein „Gartenhof“ mit viel Grün errichtet, mit Spielbereichen für Kinder und Ruhezonen für Erwachsene. Für die bauliche Umsetzung der Bewohnervorschläge war die von der Gemeinde Wien beauftragte „Projektgruppe Planquadrat“ unter Architekt Hugo Potyka verantwortlich.

Bewohner und Nutzer des Gartenhofes, entschlossen sich den öffentlich zugänglichen Gartenhof in die Selbstverwaltung zu übernehmen. Sie vereinbarten mit der Gemeinde Wien vertraglich die Errichtung des Gartenhofs durch die Stadt und die Selbstverwaltung und Pflege des Gartenhofs durch den „Gartenhof Verein Planquadrat“, mit einer liberaleren Gartenordnung als andere öffentliche Parkanlagen. Der Verein übernahm durch eigene finanzielle Beteiligung die Pflege der Wege, der Spiel- und Grünanlagen, sowie allfällige Reparaturen, was eine Kosteneinsparung für die Stadt bedeutete.

Der Erfolg

Die Wiener Stadtverwaltung war also erstmals bereit sich auf einen Dialog mit der Bevölkerung einzulassen und die Wünsche der Bevölkerung in ihrer Planung zu berücksichtigen. Auch für Politiker und Verwaltungsbeamte war dies ein wichtiger, innovativer Lernprozess. Das Ergebnis:

• die Häuserzeile der Mühlgasse wurde nicht abgerissen

• Häuser und Wohnungen wurden erneuert und modernisiert

• nach den Plänen der Bewohner und unter deren aktiver Mithilfe wurde auf städtischem Grund ein "Gartenhof" gestaltet. Dieser öffentlich zugängliche (!) „Gartenhof" wurde in die Selbstverwaltung der Bewohner übergeben und wird seither von ihnen (Gartenhofverein Planquadrat) selbst gepflegt und weiter ausgestaltet. 1/3 der Erhaltungskosten bringt der Gartenhofverein selbst auf durch Spenden, Veranstaltungen und Eigeninitiativen. Mittlerweile bereits seit 50 Jahren.

Im Jahr 2025 begehen die Bewohner des Planquadrates und die Nutzer des Gartenhofes den fünfzigjährigen Bestand dieser Selbstverwaltung. Die Bewohner und Nutzer des Gartenhofes erhalten und pflegen den Gartenhof immer noch wie einen „privaten“ Garten, der für jeden, auch ohne Mitgliedschaft beim „Gartenhof Verein“, öffentlich zugänglich ist.

Weiterführende Notizen 2

Bei Planquadrat ging es um das Erlernen und Praktizieren von Sprach- und Dialogfähigkeit, die zu partizipativem Handeln und zu mitbestimmten Entscheidungen führen sollte. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Planquadratfilme. Vor allem ihre Ausstrahlung im Fernsehen und die damit einhergehende Veröffentlichung der im Planquadrat geführten Diskurse, führten zu vielfältiger Selbstreflexion von Bewohnern. Die Bewohner sahen sich in Bild und Ton sprechend und diskutierend auf ihren Fernsehgeräten und erkannten, quasi wie im Spiegel, sich selbst, ihre Argumente und Emotionen und analysierten damit bewusst oder unbewusst ihr eigenes Denken, Fühlen und Handeln. Dabei haben sie sich nicht nur selbst, sondern auch als Teil der Gemeinschaft wahrgenommen.

Voitl und Guggenberger orientierten sich bei ihren Arbeiten im Planquadrat u.a. an den Lehren des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire. Für ihn entstehen in prozessualen Kommunikationsprozessen und deren Wahrnehmung, Reflexion und Bewusstseinsbildung, die den Menschen zu Autonomie, Partizipation, also zum Homo Politicus befähigen. Auf Basis solcher und ähnlicher Orientierungen, Erkenntnisse und Erfahrungen, entwickelten Voitl und Guggenberger eine Vorgangsweise, die sie als „Planquadrat Methode“ bezeichneten.

Diese Methode wandten sie später auch bei ihrem Projekt „Planquadrat Ländlicher Raum“ (1976-1978) ebenso an, wie bei ihrem zweijährigen Tsunami Wiederaufbauprojekt zweier Fischerdörfer in Sri Lanka (2005-2007). Bei letzterem war es verblüffend, dass diese Methode bei buddhistischen und muslimischen Dorfbewohnern und Architekten (beim Wiederaufbau von zerstörten Dörfern) in vergleichbarer Weise angenommen wurde, funktionierte und zum Erfolg führte.

Weiterführende Notizen 3

Die Tatsache, dass sich Menschen im “Gartenhof Verein Planquadrat“ auch noch nach 50 (!) Jahren nicht nur um ihre privaten Räume und Interessen kümmern, sondern sich aktiv für Gemeinschaft engagieren, verdient Anerkennung und Applaus. Denn es ist ein Beispiel lebendiger Demokratie.

Alexis de Tocqueville, der große französische Schriftsteller und Politiker sieht in AKTIVITÄT - ENGAGEMENT - TEILNAHME die unverzichtbare Basis für das Funktionieren von Demokratien. Freiheit kann nur dort entstehen, wo Menschen verstanden haben, dass es in ihrem eigenen, privaten Interesse liegt, sich auch für das öffentliche Wohl einzusetzen. Der Schlüssel zu einer lebendigen Demokratie liegt also in der Bereitschaft und der Möglichkeit von Menschen, zu gemeinsamen, freiwilligem Handeln für öffentliche Angelegenheiten.

Alexis de Tocqueville:

Nur der erfährt sich in seinem vollen „Menschsein“, der nicht nur ein privates, sondern auch ein öffentliches Leben führt. Verkümmert soziales Verhalten werden sich Menschen ganz und gar in der Einsamkeit ihrer eigenen Herzen einschließen. Sie werden die Alten vergessen und von ihren Kindern werden sie keine Vorstellungen haben. Sie sind vielleicht nette und gute Menschen, ehrliche Kaufleute, achtbare Grundbesitzer und gute Christen - aber diese ordentlichen Leute werden feige Staatsbürger sein. Eine Gesellschaft solcher Bürger versinkt langsam in die Barbarei. Barbarei als Folge von Feigheit und Egoismus. Barbarei als Krankheit des Herzens: Solche (nur auf private Interessen bedachten) Menschen fordern von ihrer Regierung nichts als das Wahren von Ruhe und Ordnung, doch in ihrem Innersten sind sie bereits Sklaven! Sklaven ihres privaten Wohlergehens. Der Mann, der dieses Volk in Ketten legt, kann auftreten. Jeder Ehrgeizling kann in einer solchen Situation die Macht an sich reißen! Sorgt er bloß dafür, dass die Wirtschaft gedeiht, wird man ihm alles andere nachsehen…!“

Weiterführende Notizen 4

Missinterpretation

Das Projekt wurde und wird in Bereichen der Soziologie, Kultur, Politik und Medien vielfach analysiert, beschrieben und kommentiert.

Leider passieren in der Darstellung des Projektes auch Fehler oder es wird Eigeninteressen entsprechend missinterpretiert. In einer Ausstellung des Museums der Stadt Wien wird das Projekt als „Gemeinschaftsproduktion von ORF und Gemeinde Wien“ beschrieben. Diese Interpretation ist unangemessen, denn sie klammert das Wesentliche aus: Die Leistung zahlreicher Personen, die keiner der beiden Institutionen zugehörten und ehrenamtlich arbeiteten, die Leistungen der Bewohner und Bewohnerinnen des Planquadrates, die über Monate gegen Verzögerungen, Verschleppungen, Vertagung ihrer Anliegen durch die Bürokratie im Rathaus stemmten… Diese Leistungen zu ignorieren ist de facto Geschichtsfälschung… Das Selbstvertrauen der „Planquadratler“ und ihr Mut eigene Planungsvorstellungen zu entwickeln und durchzusetzen, sowie schließlich den Gartenhof in Selbstverwaltung zu übernehmen, wird mit der Bezeichnung „Planquadrat = eine Gemeinschaftsproduktion von ORF und Gemeinde Wien“ missverstanden und desavouiert.

Weiterführende Notizen 5

Das Team Helmut Voitl, Elisabeth Guggenberger und Peter Pirker dokumentierte das Projekt „Planquadrat“ im Buch “Planquadrat – Ruhe, Grün und Sicherheit – Wohnen in der Stadt”, 1977 bei Zsolnay erschienen. Es ist eine detailierte Darstellung des Projektablaufes mit allen Ereignissen und Fakten, belegt durch Dokumente und Aussagen, ergänzt mit sozial- und medienwissenschaftlichen Arbeiten und Berichten. Auch wird die „Planquadrat Methode“ des Teams, sowie eine Begriffsbestimmung von „Partizipation“ dargestellt.

Dokumente

Reaktionen auf Sendung
Planquadrat Methode
Spiel Plan
Das Planquadrat Spiel
Wolfgang Piller 20020602
Sprechertexte
Ein Haus stellt sich aus
Info zur Ausstellung
Info an Bewohner
ORF Radio Altbausanierung
Schreiben an Bürgermeister
Ein Jahr Planquadrat Diskussion
Info Gartenhofverein
Info Nov. 1977
PQ Eröffnung 1983
Gartenhof Ordnung
25 Jahre Planquadrat
BREGENZ: Planquadrat gescheitert
Vortrag Voitl Bregenz
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Vier Jahre später