Wiederbelebung der österreichischen Polarforschung
Wichtiges Ziel des Projektes ARKTIS NORDOST war es, nicht nur vielfältige Filmprogramme zu realisieren, sondern die für deren Produktion notwendige Logistik und Infrastruktur arktischer Expeditionen nach Franz Josef Land auch Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen. Voitl und Guggenberger blieben damit ihrem Grundsatz treu, nicht nur Filme zu produzieren, sondern thematisch damit in Verbindung stehende Ideen und Entwicklungen anzuregen und zu fördern.
Am 9.4.1992 wurde auf der Insel Ziegler, Franz Josef Land ein geeigneter Ort für das Basislager der Expedition gefunden und markiert. Bild von li nach re: Viktor Serov, Helmut Voitl, Valerij Ippolitov.
Voitl und Guggenbergers Initiative zur Wiederbelebung der österreichischen Polarforschung knüpft an Carl Weyprecht an.
Carl Weyprecht, Leiter der österreichisch-ungarischen Polarexpedition (1872 – 1874), die zur Entdeckung des arktischen Archipels Franz-Josef-Land geführt hatte, war der Erste, der 1875 die „Grundprincipien der arktischen Forschung“ vorstellte. Er betonte, dass „die arktische Forschung für die Kenntnis von den Naturgesetzen von höchster Bedeutung“ sei. In der Folge gelang es Weyprecht internationale Forschungsprojekte durchzuführen und gemeinsam mit der 1879 gegründeten Internationalen Polarkommission Beobachtungsstationen zu errichten. 1882-1883 wurde auf seine Anregung hin das “Erste Internationale Polarjahr” mit vielen internationalen Forschungsprojekten durchgeführt.
Carl Weyprecht war also der Pionier der internationalen Polarforschung und hat als solcher ein Vermächtnis hinterlassen. Voitl und Guggenberger luden österreichische und russische Wissenschaftler ein, die Logistik der Film-Expeditionen für Forschungsarbeiten auf Franz-Josef-Land zu nützen.
Als ersten österreichischen Wissenschaftler kontaktierten sie Univ.-Prof. Dr. Heinz Slupetzky, Geograf, Gletscher- und Polarforscher an der Universität Salzburg. Dieser hatte nach seiner Rückkehr von einer polnisch-russischen Expedition nach Franz-Josef-Land im August 1991 betont, dass „für Studien über die Klimaveränderung in der Arktis und ihrer Folgen internationale Forschungsprojekte auf Franz-Josef-Land von größter Bedeutung wären“. Im Oktober 1991 informierten Voitl und Guggenberger Univ.-Prof. Slupetzky über das Projekt Arktis Nordost und die geplanten Expeditionen zum Archipel. In der Folge kontaktierten sie mit ihm gemeinsam die Österreichische Geographische Gesellschaft, die Österreichische Akademie der Wissenschaften, sowie das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Im Bundesministerium wurde eine Anlaufstelle für Angelegenheiten der Kooperation zwischen Wissenschaft und ORF eingerichtet: Das Ministerium formulierte den Wunsch das Basislager des ORF-Filmteams für Wissenschaftler mitnutzen zu wollen und lud am 1.Juni 1992 österreichische Universitäts- und Wissenschaftsinstitute zu einem Brainstorming: „Österreich und Franz Josef Land“ ein, um das weitere Vorgehen konkret zu besprechen.
Die Ergebnisse dieses Brainstormings waren sehr positiv:
• Die Vertreter aller Institute unterstrichen die Notwendigkeit der Forschung im arktischen Raum. Sie beträfe die gesamte Breite des modernen Forschungsspektrums.
• Wissenschaftler werden an den Arktis Nordost-Filmexpeditionen teilnehmen.
• Ein ganzjährig oder auch nur in den Sommermonaten nutzbarer Forschungsstützpunkt auf Franz-Josef-Land ist wünschenswert und zu begrüßen.
• Im Hinblick auf einen zukünftigen Tourismus nach und auf Franz-Josef-Land könnte die österreichische Expertise in Tourismusökologie für die russischen Bestrebungen Franz-Josef-Land als Natur- und/oder Nationalpark zu widmen, wichtig sein.
• Kooperationsvarianten mit russischen Wissenschaftlern sollen ausgelotet werden;
Folgende Wissenschaftler aus Österreich und Russland nahmen an den ORF-Filmexpeditionen teil:
Sommer 1992
Univ. Prof. Dr. Heinz Slupetzky, Geograph, Glaziologe; Univ. Prof. Dr. Mag. Fritz Seewald, Biologe, Höhlenforscher; Univ. Prof. Dr. Anton Schweighofer, Architekt,
Die russischen Wissenschaftler des AARI (Russian Arctic-Antarctic Research Institute in St. Petersburg) waren Maria Gavrilo, Sergey Polfjorow und Valerij Ippolitov.
Sommer 1993
Univ. Prof. Dr. Wolfram Richter, Petrologe (er war von Guggenberger kontaktiert und zur Teilnahme an der Expedition eingeladen worden).
Vom AARI Sergey Kazianow, Sergey Limanov, Anatol Simonenko.
In den Sommern 1994, 1995 und 1996 wurden bereits unter Leitung von Univ. Prof. Dr. Wolfram Richter eigene interdisziplinäre Wissenschaftsexpeditionen zum Franz Josef Land durchgeführt und das ORF Basislager auf der Insel Ziegler (auf 81° n.B. die nördlichste Forschungsstation), sowie die vorhandene Infrastruktur der Filmexpeditionen wurden weiterhin genutzt. 1994 begannen junge Wissenschafter Projekte mit langfristigen Perspektiven (Klimaveränderung). Diese erfolgreiche Wiederbelebung der Österreichischen Polarforschung wurde veröffentlicht (von der inzwischen gegründeten Payer-Weyprecht Gesellschaft).
Im Sommer 1995 hatten die österreichischen Wissenschaftler vorerst Schwierigkeiten von den russischen Behörden eine Genehmigung für die Expedition zum Franz Josef Land zu bekommen, sie konnten aber rechtzeitig beseitigt werden.
Im Sommer 1996 organisierten Voitl und Guggenberger eine weitere Expedition, um die Schiffskulisse abzubauen. Auch an dieser Expedition nahmen österreichische Wissenschaftler teil und setzten auf der Insel Ziegler ihre Forschungsprojekte fort.
In diesen Forschungsjahren erfolgten Untersuchungen zur Geologie der Deckenbasalte des Franz Josef Landes, sowie Schneeuntersuchungen und Messungen der Ionenkonzentrationen auf verschiedenen Inseln. Im Vergleich mit alpinem Schnee erkannte man die Dominanz von Chlorid, welches aus dem Meereswasser stammt, gegenüber Nitrat- und Schwefelionen in den Alpen, die von menschlichen Aktivitäten stammen. Biologische Untersuchungen in den Seen während des kurzen arktischen Sommers dokumentierten starkes Bakterien- und Algenwachstum, Gefäßpflanzen wurden zur Artenbestimmung kartiert.
Für Juli 1997 war eine weitere Forschungsexpedition geplant. Anfang Juni 1997 kommunizierte VICAAR, der russische Logistikpartner des ORF und später auch der österreichischen Wissenschaftler, an Prof. Richter, dass es erneut Schwierigkeiten gäbe, eine Genehmigung für die Expedition hinzubekommen. Ausgestattet mit einem offiziellen Schreiben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung reiste Voitl nach Moskau und fand dort mit Hilfe von Freunden Zugang zur Leitungsebene der zuständigen Behörde, der Luftwaffe der Russischen Föderation, Abteilung Langstreckenflug. Seine Bemühung für eine Genehmigung war erfolgreich, die Durchführung der österreichischen Wissenschaftsexpedition im Sommer 1997 war gesichert. Die diesbezüglichen Dokumente zur Problemlösung durch Helmut Voitl siehe hier.
Doch noch vor der Übermittlung des schriftlichen Dokuments der russischen Behörde an das österreichische Ministerium, sagte Prof. Richter am 9.7.1997 die Expedition mit der Begründung ab, er wolle sich durch eine Genehmigung „nicht nötigen lassen“ und begründete im September 1997 seine Position in einem Rundschreiben wie folgt: „Der Grund für die ablehnende Haltung des russischen Militärs ist klar. Die NATO-Osterweiterung hat für Russland eine neue Situation geschaffen. (…) Ein restriktiver Kurs gegenüber Ausländern ist, auch wenn es sich um „harmlose“ Wissenschaftler handelt, verständlich.“
Für Voitl blieb unverständlich, warum Richter in diesem Schreiben verschwieg, dass eine offizielle, schriftliche Genehmigung Russlands vorlag und dass die Expedition zum Franz Josef Land hätte durchgeführt werden können! Einen „restriktiver Kurs“ der Russen, wie von Richter behauptet, gab es damals noch nicht. Univ. Prof. Richter setzte auch in den darauf folgenden Jahren die österreichischen Forschungsaktivitäten auf Franz-Josef-Land nicht weiter fort.
Erst während des "Internationale Polarjahr 2007/08” kehrten österreichische Forscher erstmals wieder nach Franz-Josef-Land zurück. Prof. Wolfgang Schöner, derzeitiger Direktor des österreichischen Polarforschungsinstituts APRI unternahm während einer touristischen Expeditionsfahrt Gletschermessungen auf der Koettlitz Insel und auf der McClintock Insel. Es sollte der Massenhaushalt der Gletschersysteme untersucht und mit Satellitendaten auf Veränderungen ab den 2000-er Jahren verglichen werden. Man erkannte massive Verluste, die auf einer neu angefertigten Landkarte farblich dargestellt wurden.
Fotos
Presse
19920628 Die Presse, 19950329 Der Standard, 19950413 Salzburger Nachrichten, Wiener Zeitung, 19950505 Neue Zeit,
Dokumente
Siehe Blog (Teil II) von Christoph Ruhsam; er ist Vorstandmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Polarforschung APRI (ehemals Payer-Weyprecht Gesellschaft).