Im Namen des Fortschritts

1988

Inhalt

Der Fortschritt ist unaufhaltsam: Diese Zauberformel hat wie keine andere Idee das Leben der letzten zweihundert Jahre beherrscht. Fortschritt wurde zur Selbstverständlichkeit, ja sogar zu einem Glaubensinhalt. Aber denken wir auch genügend über seine Ursprünge und über seinen weiteren Verlauf nach? Längst hat sich auch Zweifel über den Fortschritt bemerkbar gemacht. Manchmal werden Segnungen des Fortschritts übersehen, ebenso wie er blind weiter propagiert wird.

Die dreiteilige Dokumentarserie "Im Namen des Fortschritts" will daher Nachdenklichkeit provozieren. Sie erörtert das Thema an Hand von internationalen Beispielen und mit Gesprächspartnern aus Europa, USA, UdSSR und Asien. Die Serie bietet dem Zuseher Material für eine Vielfalt von Denkmöglichkeiten, aber keine Rezepte und Lösungen.

"Die spannendsten Abenteuer finden im eigenen Kopf statt" - unter dieser Devise versuchen Voitl und Guggenberger das Thema für das Fernsehpublikum umzusetzen. Am Stammtisch, in der Familie, am Arbeitsplatz wird über das Thema “Fortschritt" gesprochen, die Probleme unserer Fortschritts-Gesellschaft bewegen die Menschen. Dies bestätigt eine für die Serie "Im Namen des Fortschritts" durchgeführte motivationspsychologische Grundlagenstudie. Daraus ist ersichtlich, dass dieses wichtige und komplexe Thema derzeit nur stark polarisiert unter dem Aspekt "Entweder - Oder" diskutiert wird. Das Thema ist jedoch zu wichtig, um es in der "Entweder-Oder" Sackgasse stecken zu lassen. "Im Namen des Fortschritts" liefert Stoff, um die Diskussion zu bereichern.

Folge 1: 26.10.1988,

In die Zukunft gestolpert, 60 min.

Zeitdruck! Wer leidet als Mensch der modernen Zivilisationsgesellschaft nicht darunter? Der Mensch fühlt sich als Getriebener, alles scheint sich zu beschleunigen, niemand hat mehr Zeit... Global gesehen wird die Zeit knapp, um selbstgeschaffene Probleme, wie zum Beispiel Umweltzerstörung noch rechtzeitig lösen zu können. Was hat das alles mit Fortschritt zu tun?

Die erste Folge bot dem Zuseher „Rüstzeug" an, um die Gedankenwelt rund um den Begriff Fortschritt zu entdecken; interessante Phänomene aus der Urzeit des Menschen vor zwei Millionen Jahren, sieht man im Zusammenhang mit „Zukunftsvisionen" der Gegenwart.

Das Phänomen „Beschleunigung" entpuppt sich als Folge der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft und Technik der letzten 300 Jahre. Sie waren es, die die Menschen aus dem Mittelalter in die Neuzeit zu führten. Mittlerweile aber scheinen heutige Menschen vom Dogma „Fortschritt" ähnlich gefangen zu sein, wie die Menschen des Mittelalters von der „Göttlichen Vorsehung".

In den USA stellt sich ein bekannter Computerfachmann die Frage, ob Androiden in Zukunft dieselben Rechte zustehen werden wie Menschen. Den wesentlichen Schlüssel zur weiteren Entwicklung des Menschen sehen sowjetische Wissenschaftler jedoch in der „Intuition". Die widersprüchlichen und paradoxen Aspekte der „Fortschrittsidee" sind spannende Denk-Abenteuer, zu denen die erste Folge der Serie einlädt.

Gesprächspartner:

Michael Dertouzos,(+2001), Boris Rauschenbach, (+ 2001), Josef Weizenbaum, (+2008), Tom Pratt, Reid Thompson,(+ 1996), Dmitrij Lichatschow, (+1999), Iwanow Wetscheslaw,(+ 2017), Chungliang Al Huang, Sir John Eccles,(+ 1997) Ilya Prigogine, (+2003), Enzo Tiezzi, (+2010), Lester Brown, World Watch Institute, Hans Jonas, (+ 1993

Folge 2: 28.10. 1988,

Reise zur Natur und zurück, 60 min.

Mit all unserem naturwissenschaftlichen und technischen Know-how sind wir unterwegs zu einer Art „künstlichen Natur". Unbewiesen nimmt der Mensch an, dass die Natur so funktioniert, wie er sie braucht und viele Menschen wünschen sich die „Kunstnatur". Konkretes Beispiel dafür ist das Projekt „Biosphäre 2". Es wurde in der Wüste Arizona verwirklicht: In einem künstlichen Biotop, einer Naturinsel aus Menschenhand, absolut isoliert von der „Biosphäre 1", also von der „natürlichen Natur", werden dort verschiedene Experimente angestellt. Ökologische Katastrophe und künstliche Biosphäre - beide sind Aspekte ein und desselben Fortschritts, beide Aspekte des ungemein komplizierten Verhältnisses Mensch und Natur.

Internationale Größen verschiedener Wissenschaften, insbesondere Naturwissenschaftler, versuchen darauf Antworten zu geben - oder zumindest richtige Fragen zu stellen. Deshalb führt die Diskussion auch zurück zu den historischen Wurzeln von Wissenschafts- und Zivilisationskritik, von Naturschutz und Protestbewegungen. Zukunftsbestimmend werden die Fortschritte der Bio- und Gentechnologie, sowie der Computerwissenschaften sein. Doch ihre Richtung bleibt letztlich unbekannt. Standpunkte stehen gegen Standpunkte.

Gesprächspartner:

Anne Wynne , Leiterin Con Edison Kraftwerk East River, New York, Lester Brown, World Watch Institute, Tschingis Aitmatov (+2008), Enzo Tiezzi, (+ 2010), Tatjana I. Saslawskaja, (+2013), Ted Turner, Carl N. Hodges, Dennis Powers (+ 2003), Ilya Prigogine (+ 2003), Sergeij P. Kapiza (+ 2012)

Folge 3: 11.11.1988,

Unterwegs zum Menschen, 60 min.

In der dritten Folge wird die Sinnfrage gestellt: Für wen gibt es diesen Fortschritt und für wen wird er gemacht? Es geht also um ökonomische und ökologische Aspekte. Seit über 150 Jahren funktioniert eine Automatik des Wachstums: Die praktische Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse führte zur Industrialisierung, zur Massenproduktion, zu erhöhtem Konsum und schließlich zu Wohlstand in reichen Ländern. Doch knappe Ressourcen, unbedachte Nebenwirkungen, ein rasantes Wachstum der Weltbevölkerung, sowie Armut und Hunger kennzeichnen die Lebensverhältnisse der Mehrheit der Menschen auf dieser Welt. Kann die Erde einen Lebensstandard, wie wir ihn in der „westlichen Welt“ kennen und auf den wir nicht verzichten wollen, auch noch für zehn Milliarden Menschen zur Verfügung stellen?

Dieses Problem wird am Beispiel der indischen Provinz Ladakh erörtert. Dort wurde ein Modell der angepassten und langsamen Entwicklungsschritte vor zwei Jahren mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Es wird deutlich, dass es verschiedene und vielfältige Konzepte von Fortschritt geben muss, denn nicht alle Probleme lassen sich mit dem bisherigen westlichen Fortschrittskonzept lösen. Dazu Professor Michael Dertouzos, einer der führenden Computerexperten der Welt: "Der Fehler war, dass wir zwei voneinander getrennte Kulturen entstehen ließen - die technische und die humanistische. Technokraten wollen alle Probleme mit Technologie lösen. Humanisten lösen alles humanistisch." Das, so unterstreicht Professor Dertouzos, sei aber ein fürchterlicher Fehler. Die duale Kultur müsse aufhören, denn technische und humane Aspekte seien nicht voneinander zu trennen. Dazu müssen freilich auch unsere bisherigen Bildungssysteme grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Gesprächspartner:

David Nobel, (+2010), Manfred Drenning, Hans Christoph Binswanger, (+2018),

Dolkar, ein Bauer aus Ladakh, Helena Norberg, Michael Dertouzos.

Credits

Folge 1, Folge 2, Folge 3

Fotos

Video

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Presse

ORF Information, 19881028 Kurier

19881028 Wiener Zeitung,

Auszeichnung

1989, Internationales Filmfestival Medikinale, Parma

1989, Internationales Eko-Filmfestival, Prag

Weiterführende Notizen

Voitl und Guggenbergers Recherchen und ihre Auseinandersetzung mit dem Thema „Fortschritt“ gingen vom Begriff „Bewältigung“ aus. Der Begriff tauchte in vielen Gesprächen immer wieder auf: „Wie bewältigt man…“ schwierige Situationen, Belastungen, Ängste, Ausweglosigkeit usw.. Wie bewältigen wir das Leben in Zukunft? Was bedeutet Fortschritt in diesem Zusammenhang ? Ist die Zerstörung der Natur und unserer Lebensbedingungen ein Fortschritt? Gibt es Gewissheit, dass der Fortschritt zukünftig eine bessere Welt schaffen wird? Was soll durch wen und für wen erhalten werden?

Von solchen Fragen ausgehend wurde die dreiteilige Serie „Im Namen des Fortschritts“ als ein filmisches „Denkstück“ konzipiert. „Bewältigung“ zwischen „Katastrophismus und Techno-Utopismus“, zwischen Zusammenbruchs- und Untergangszenarien und dem quasi religiösen Glauben an Wissenschaft und Technik.

Dokumente

Gesprächspartner
Sprechertext Folge 1
Sprechertext Folge 3
Sprechertext Folge 2
Studie Fortschritt
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