Planquadrat Ländlicher Raum
1976 - 1977
Inhalt
Nach dem Planquadratprojekt in Wien wurden Voitl und Guggenberger im ländlichen Raum aktiv. Als “Planquadrat Ländlichen Raum” wählten sie die Gemeinden Weitersfelden, Kaltenberg und Liebenau im oberösterreichischen Mühlviertel, sowie Langschlag und Groß Gerungs im niederösterreichischen Waldviertel. Diese fünf Gemeinden haben eine Gesamtfläche von rund 300 Quadratkilometer mit 11.350 Einwohnern. 1976 war das Gebiet ein „Notstandsgebiet“, eine wirtschaftlich schwache Region nahe des “Eisernen Vorhangs”.
Um in dieser Region Ideen und Lösungen für eine Verbesserung der Situation zu finden, luden sie wieder die Bevölkerung zur Mitarbeit ein. Erstarrte Strukturen in Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft und Kultur sollten in Bewegungen gebracht werden; wie im “Planquadrat Stadt” versandten Voitl und Guggenberger regelmäßig schriftliche Informationen an alle Haushalte und veranstalteten Diskussionsabende in lokalen Wirtshäusern. Auch wurde die Bevölkerung zur Mitwirkung am Filmschnitt eingeladen.
Allmählich begann sich die Bevölkerung der motivierenden Initiative von Voitl und Guggenberger gegenüber offen und interessiert zu zeigen. Einige Beispiele:
In einem Dorf forderten junge Menschen von den Gemeindepolitikern mehr Transparenz und Partizipation. Nach heftigen Diskussionen stellte der Gemeinderat ein “Gemeinde-Parlament” in Aussicht.
Im oberösterreichischen Dorf Wienau wurde die Neugestaltung der Dorfstrasse unter Mitwirkung der Dorfbewohner geplant.
Frauen organisierten sich und produzierten traditionell gestrickte Westen, Strümpfe und Handschuhe. Traditionelle Webstühle wurden reaktiviert, um “Fleckerlteppiche” herzustellen. Strickwaren, Teppiche, Korbwaren und Schnitzereien, sowie Lebensmittel aus bäuerlicher Produktion wurden gemeinschaftlich in Wien vermarktet.
Die Bewohner einer Gemeinde produzierten einen 8-mm Werbefilm zur Ansiedelung eines Textilbetriebes. Man hoffte auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region. Dieser Film war Bestandteil einer “Planquadrat-Sendung”.
Ein Verein “Pro Waldviertel” wurde gegründet und ein überregionales Winterwochenende für Touristen organisiert; das Event wurde kooperativ durchgeführt, zum Beispiel boten Gasthäuser schwerpunktmäßig unterschiedliche “Schmankerl” aus der Region an; durch eine gemeinsame Anstrengug konnte die Einstellung der Waldvierteler Schmalspurbahn verhindert werden. Der Vorschlag des Planquadrat Teams die Region als “Gesundheitslandschaft” zu sehen und auch als solche zu bewerben, fand großen Anklang. Noch heute vermarktet sich ein Teil des oberen Waldviertel touristisch erfolgreich als “Xundheits-Landschaft”. Die Mehrheit der Landwirte produziert hier nach den Grundsätzen des Biologischen Landbaus, für dessen Verbreitung sich Voitl und Guggenberger intensiv engagierten.
Viele Bauern im Planquadrat zeigten sich aufgeschlossen, etwas über “Biologische Landwirtschaft” zu erfahren und ihre Produktionsweise umzustellen. Heute ist das obere Waldviertel die Region mit der größten Anzahl von Bio-Betrieben in Österreich. Die mittlerweile entstandenen Kurhäuser kaufen ihre Lebensmittel von diesen regionalen Bio-Bauern.
Aus dem Projekt “Planquadrat Land” heraus entstand ab 1976 Voitl und Guggenbergers nächstes (Planquadrat-) Projekt: Die Förderung und Entwicklung des “Biologischen Landbaus”, der 1976 in Österreich noch ein Schattendasein führte und von der konventionellen Landwirtschaft schief angesehen und abgelehnt wurde. Details dazu siehe Kapitel Initiativen / ‘Biologischer Landbau’.
Die einzelnen Dokumentarfilme:
Sendung 1: Planquadrat – Ländlicher Raum, 03.09.1976, 60 min.,
Sendung 2: Bevölkerung diskutiert mit Politikern. 08.10.1976, Moderation: Helmut Zilk
Sendung 3: Hilfe zur Selbsthilfe 03.12.1976 60 min
Sendung 4: Zusammenfassung 26.04.1977 60 min.
Sendung 5: Boden-Kultur. Neue Wege der Landwirtschaft. 24.10.1978 60 min
21.01.1979 Wiederholung
Credits
Sendung 1; Sendung 2; Sendung 3; Sendung 4; Sendung 5;
Fotos
Video
Presse
ORF Info 07071976; ORF Info 19770400; Artikel; 19751001 Kurier; 19760700 Mix; 19760717 Arbeiterzeitung; Kronenzeitung; Salzburger Nachrichten; Neues Volksblatt, OÖ.Tagblatt, OÖ Nachrichten, Kleine Zeitung Graz, Tagblatt, 19760722 Mühlviertler Nachrichten, 19760810 Zwettler Nachrichten, Kurier, OÖ. Nachrichten; 19760902 OÖ. Nachrichten; OÖ.Tagblatt, Gmünder Zeitung; 19760902 NÖ. Nachrichten; Kronenzeitung; 19760903 OÖ.Tagblatt; 19760909: Zwettler Nachrichten; 19761007: Zwettler Nachrichten, NÖ. Nachrichten; 19761008 OÖ.Nachrichten; Artikel 19761200; 19770200 Mix; 19770800 Mix; 19781024 ORF Pressetext; 19791101 ORF Pressetext,
19761200 Süddeutsche Zeitung, 19760909 Mühlviertler Nachrichten, 19760900 Grüne Welt; 19760000 Mix; 19760906 Neues Volksblatt; 19760909 Mühlviertler Nachrichten; 19760930 Zwettler Nachrichten; 19761000 Blick ins Land; 19761007 Zwettler Nachrichten; 19761007 NÖ. Nachrichten; 19761007 Mühlviertler Nachrichten; 19761008 Kronenzeitung, Kurier; 19761014 Zwettler Nachrichten, 19761000 Grüne Welt, 19761028 Zwettler Nachrichten; 19761008 Die Industrie, 19761209 Der österreichische Bauernbündler; 19761203 Kronenzeitung; Mix; Mix 2, Neue Zeitung Graz, Tiroler Tageszeitung, 19871209 Mühlviertler Nachrichten; Wochenpresse, 19761210 Gmünder Zeitung; 19761210 Die Industrie; 19761215 Kirchenzeitung; 19761223 Gmünder Zeitung, 19761200 Artikel; Grüne Welt; 19770104 Die Wirtschaft; 19770217 Mühlviertler Nachrichten; 19770217 Mix; 19770224 Mix 2; Mix 3; Kronenzeitung, 19770424 Raiffeisenzeitung; 19770225 Tagblatt; 19770226 OÖ Nachrichten; Neues Volksblatt; 19770303 Mühlviertler Nachrichten; 19770303 Artikel; 19770310 Artikel; 19770310 Zwettler Nachrichten; 19770324 Mühlviertler Nachrichten; 19770422 Kleine Zeitung; 19770400 Mühlviertler Nachrichten; 19770428 Mühlviertler Nachrichten, 19770428 Salzburger Nachrichten; 19770602 Kronenzeitung, Volksstimme, Arbeiterzeitung; 19781022 Volkszeitung; 19781024 Neue Zeit; Wiener Zeitung; 19781024 Kleine Zeitung, Kurier; 19781000 Blick ins Land, 19781026 Neue Zeit, 19781107 Volksblatt; 19790113 Kurier, OÖ Nachrichten, Kärntner Tageszeitung, 19790613 Artikel?, 19790626 Brigitte, Auszüge Pressestimmen; Link; Artikel ad Umfrage;
Auszeichnungen
1975, Fernsehpreis der Erwachsenenbildung, Wien
1977, Prix Futura, Berlin
1978, Preis des Österreichischen Naturschutzbundes
1982, Konrad Lorenz Preis
Weiterführende Notizen
Das “Planquadrat-Konzept” stellt herkömmlichen Journalismus auf den Kopf. Voitl und Guggenberger begnügten sich nicht einen Problemfall zu recherchieren und darüber einen Film zu machen. Sie wollten mehr, sie wollten die Bevölkerung zur „Sprachfähigkeit“ führen. Als “Kommunikations-Stifter”, die durch ihre Arbeit der Bevölkerung Hilfe zur Selbsthilfe geben, damit sie als selbstbewusste und verantwortliche Menschen ihr Leben in der Stadt und am Land mitgestalten wollen und auch können!
Ganz im Sinne von Karl Jaspers, der schrieb: „Demokratie heißt Information und Selbsterziehung der Bevölkerung. Sie weiß, was geschieht. Sie lernt nachdenken. Sie urteilt. Demokratie heißt daher: Den Prozess der Aufklärung ständig fördern“.
Drei wichtige Grundsätze bestimmten Voitl und Guggenbergers Vorgangs- und Arbeitsweise:
Langfristigkeit und Kontinuität
Die bloß beschreibende Information über einen bestimmten Zustand oder ein bestimmtes Problem, also eine Momentaufnahme, erschien nicht zielführend. Denn die Verkürzung der Wirklichkeit auf Zeitsegmente ist für viele Rezipienten eine Ursache für ihr Nicht-Verstehen der übermittelten Information und der Grund, dass für die Menschen so Vieles abstrakt und bruchstückhaft bleibt, nicht fassbar ist.
“Public journalism”, wie er Voitl und Guggenberger vorschwebte, sollte darauf ausgerichtet sein, Themen und Probleme nicht in Momentaufnahmen darzustellen, sondern prozessual und kontinuierlich. Wirkliches Leben ist ein Prozess und vermittelt sich in seiner Kontinuität äußerst facettenreich. Und auf diese Facetten kommt es an.
Partizipation
Partizipation im Sinne von: Ich nehme teil (als Filmemacher an der Wirklichkeit des “Planquadrates”) und lasse teilnehmen (Einbeziehung der Bevölkerung in die Fertigstellung der Filme).
Voitl und Guggenberger waren offen für einen wechselseitigen Lehr-und Lernprozess. Dabei war jeder das, was er ist. Die Filmemacher blieben Filmemacher und brachten dies deutlich zum Ausdruck. Sie waren nicht gekommen, um die Geschicke der Bewohner in die Hand zu nehmen und stellvertretend für sie zu erledigen. Aber sie boten Möglichkeiten einen “verfahrenen Karren” gemeinsam mit den Bewohnern in Bewegung zu bringen. Und sie waren vielleicht die Ersten, die aufzeigten, dass er und warum er tatsächlich verfahren ist. Planquadrat-Arbeit kann gut mit Akkupunktur verglichen werden: Um den Energiefluss eines Körpers in Fluß zu bringen, werden an bestimmten Stellen Nadeln angebracht. Auch ein Lernprozess ist manchmal überhaupt erst durch eine konkret durchgeführte Veränderung einer Situation (und sei sie noch so geringfügig) in Gang zu setzen ist. Es sind häufig die “irgend jemand müsste - Situationen”... .
Da Voitl und Guggenberger feststellten, dass es vielen Bewohnern schwer fiel den Inhalt von Informationen insofern zu verstehen, dass ihnen über den status quo hinaus auch mögliche Veränderungen vorstellbar waren, inszenierten sie , um weitere Stagnation zu verhindern,”Nadelstiche”, d.h. Aktionen. Sie sollten das Vorstellungsspektrum vom status quo hin zur Veränderung erleichtern. Sie wollten für die Menschen Veränderung probeweise erlebbar machen. Solche “Nadelstiche” stellten sich als sehr wichtig für die spätere aktive Teilnahme an Mitbestimmungsprozessen heraus. Ein Beispiel im “Planquadrat Land” war das Winterwochenende, welches erlebbar machte, dass die Region touristisches Potenzial hat, welches entwicklungsfähig war.
Ein weiterer Aspekt der “Partizipation” war die ständige Anwesenheit und Erreichbarkeit. Alle Dokumentarfilme wurde unter Hinzuziehung der gefilmten Menschen geschnitten. Manche beteiligten sich am Filmschnitt (im Planquadrat Land besuchten ca. 800 Menschen den gemeinsamen Filmschnitt), andere gestalteten eigene Video- und 8-mm Filmbeiträge , die in den Dokumentarfilm integriert wurden.
Kommunikation stiften
Wir leben heute in einer Zeit, die durch Gleichgültigkeit, Resignation und Desinteresse am öffentlichen (gemeinschaftlichen) Leben geprägt ist. David Rießman macht in seinem Buch Die einsame Masse auch die moderne Massenkommunikation dafür verantwortlich: Journalisten vermitteln politisches Geschehen wie Ware, die es zu konsumieren gilt. Der Verbrauch von solchen Informationen erzeugt oberflächlich ein Gefühl der Informiertheit, speist aber maximal die politische Pseudoaktivität am Wirtshaustisch. Über das Schimpfen kommen derart Informierte nicht hinaus, sie lehnen Mitarbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ab, weil es ja das Geschäft der Politik ist.
Aus diesem Teufelskreis wollten Voitl und Guggenberger ausbrechen. In einem kleinen überschaubaren Bereich war Erfolg zwar nicht von vornherein garantiert, aber doch ein aussichtsreiches Ziel. Es sollte gelingen Bürger, Politiker und Verwaltungsbeamte zu einem fruchtbaren Dialog zu bringen.
Als “Kommunikations Stifter” waren sie auf vielfältige Weise darum bemüht. Schließlich waren sie damit auch erfolgreich.